Die Zahl der präventiven Massnahmen gegen Mitglieder der italienischen Mafia hat zugenommen. Die unbefristeten Einreiseverbote sind gerechtfertigt. Nur so ist sicher, dass diese Mafiosi in der Schweiz nicht mehr zu sehen sein werden.
Die mit Italien koordinierten Anti-Mafia-Aktionen im November 2021 haben es einmal mehr gezeigt: Die Schweiz gilt nicht nur als logistische Basis für den Drogen- und Waffenhandel, sondern beherbergt auch etliche Mafiosi – von einfachen Mitgliedern bis hin zu hochrangigen Bossen. Repression durch Strafverfolgung ist zwar eine Antwort, aber sie reicht nicht aus. Es braucht auch Prävention. Als eine der Massnahmen zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität kann fedpol Einreiseverbote gegen Mafiosi verhängen und ihre Ausweisung verfügen, sofern die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz bedroht ist. Seit 2016 wurden zahlreiche solche Massnahmen gegen Mafiosi verfügt und 2021 wurde ein neuer Höchststand erreicht (siehe Artikel zu den Zahlen). Davon betroffen sind auch die beiden Männer, von denen hier die Rede ist.
Die nächstgelegene Basis eines der beiden Mafiosi liegt nur gerade eine Viertelstunde mit dem Auto von der Tessiner Grenze entfernt. Beim andern sind es etwa 20 Kilometer. Diese locale sind mehr als nur Stützpunkte: Sie sind etablierte Strukturen der 'Ndrangheta in Italien (siehe Kasten). Beide Männer wurden in Italien wegen Zugehörigkeit zu einer kriminellen Organisation verurteilt und sitzen heute im Gefängnis. Sie lebten aber beide in der Schweiz, verfügten über eine Aufenthaltsgenehmigung und spielten eine aktive Rolle. Innerhalb der 'Ndrangheta haben sie den Rang eines Santa respektive Vangelo. Diese Ränge geben Auskunft über den kriminellen Werdegang der betreffenden Person und belegen sowohl ihre mafiöse Macht als auch ihre Zugehörigkeit zur Mafia. Die Verbindungen der beiden Männer zu ihrem locale sind belegt. Wie alle Mitglieder der 'Ndrangheta unterstehen auch sie der provincia: der Mutterstruktur mit Sitz in Reggio Calabria, die die Organisation kontrolliert. Sie verwaltet unter anderem die Finanzen, entscheidet über Morde oder plant die kriminelle Strategie und die Aufgaben für neue Gebiete.
Die Ränge zeugen vor allem von den besonderen Riten, die die Mitglieder durchlaufen, und den Diensten, die sie für die Organisation erbracht haben. Diese Riten dienen einem klaren Zweck: Sie sollen ein Zugehörigkeitsgefühl und eine Identität schaffen, indem sie die Persönlichkeit des Einzelnen ausradieren und besiegeln, dass sein Leben bis zu seinem Tod untrennbar mit der 'Ndrangheta verbunden ist. Wie etwa der Initiationsritus der Taufe, bei dem der Kandidat ein Gebet aufsagen und dazu einen Tropfen seines Blutes vergiessen muss. Dabei verpflichtet er sich, die Organisation niemals zu verraten, und schwört seinen Anführern und «Brüdern» ewige Treue bis zum Tod. Unsere beiden Männer, die in der Schweiz lebten, werden somit erst nach ihrem Tod nicht mehr der Mafia angehören. Und damit ist klar, dass sie während der nächsten 5, 10 oder gar 20 Jahre eine Gefahr darstellen. Die unbefristete Dauer des Einreiseverbots steht somit in einem angemessenen Verhältnis zum Risiko. Wenn jemand sein Leben der Mafia weiht, dann stellt er oder sie für immer eine Gefahr für die Sicherheit der Schweiz dar.
Die 'Ndrangheta ist in mehrere Ebenen unterteilt und weist eine föderative, pyramidenähnliche Struktur auf, die von einem Führungsorgan namens provincia kontrolliert wird. Diese umfasst drei koordinierende Unterstrukturen, die als mandamenti bezeichnet werden und drei territoriale Zonen der Provinz Reggio Calabria repräsentieren: der Mandamento Tirreno, der Mandamento Jonico und der Mandamente Reggio Centro (Hauptstadtbezirk). Diese Zonen sind ihrerseits in territoriale Organismen unterteilt – locali oder società –, die wiederum aus kleineren Zellen, den 'ndrine oder famiglie, bestehen. Die Kernzelle der mafiösen Struktur ist die 'ndrina: Sie besitzt die vollständige Kontrolle über das Gebiet, in dem sie operiert, und hat somit das Monopol auf alle Aktivitäten, ob legal oder illegal. Die 'ndrina ist zwar gegenüber dem locale oder der entsprechenden società – den territorialen Zellen also, von denen sie direkt abhängig ist – oder auch der provincia rechenschaftspflichtig, nicht aber gegenüber einem benachbarten locale, dem sie aus territorialer Sicht nicht untergeordnet ist. Manchmal bilden sich Allianzen zwischen mehreren 'ndrine und einige 'ndrine geniessen auch eine gewisse Autonomie.