Der Mafia das Handwerk legen: Die Polizei der Schweiz und von Italien arbeiten zusammen.

Die Schweiz - kein sicherer Hafen für Mafiosi

Hinter einem Mord können sich viele weitere Verbrechen verbergen. Bei parallelen Ermittlungen mit den italienischen Behörden deckten fedpol und die Kantonspolizeien einen Drogen- und Waffenhandel in der Schweiz auf, der von prominenten Mitgliedern der Mafia betrieben wurde.

An diesem Samstagabend fällt in einem ruhigen Dorf in der Ostschweiz ein Schuss. Nur wenige Schritte von einem gut besuchten Restaurant entfernt liegt ein Mann in einer Blutlache. Zunächst wird hinter diesem Mord ein simpler Betrug vermutet. Oder vielleicht Drogenhandel. Die Geschichte ist aber nicht so banal. Für fedpol ist diese Leiche der Ausgangspunkt für zwei parallel geführte Ermittlungen zwischen der Schweiz und Italien. Sie ist der entscheidende Teil des Puzzles, das die italienischen Behörden mit ihrer Grossoperation Cavalli di Razza gegen die 'Ndrangheta – die in der Schweiz am stärksten vertretene italienische Mafiaorganisation – zu lösen versuchen.

Analysen von fedpol kombiniert mit Informationen aus Italien bestätigen die Vermutung auf einen Drogenhandel, an dem eine kriminelle Organisation beteiligt ist. Die Anti-Mafia-Staatsanwaltschaft in Mailand und Staatsanwälte in Reggio Calabria und Florenz sind auf italienischer Seite bereits an diesem Fall dran. Sie betrachten die Schweiz als wichtige logistische Anlaufstelle für Mafiosi. Dass sich mehrere Clans hier niedergelassen haben, um ihren Kokain-, Heroin- und Waffenhandel abzuwickeln, lässt sich einfach belegen. Die schweizerischen und italienischen Strafverfolgungsbehörden organisieren sich. Dank der intensiven und engen Zusammenarbeit zwischen einer Kantonspolizei, fedpol, der Bundesanwaltschaft und den italienischen Behörden wird ein «Joint Investigation Team» gebildet.

Ein entscheidender Schlag

Vier Jahre nach dem Mord im Ostschweizer Dorf steht die Kooperation kurz vor ihrem erfolgreichen Abschluss. Am 16. November 2021 um Punkt 3.30 Uhr beginnt der Einsatz. Eines der Ziele ist ein Fahrzeug, das mutmasslich für Fahrten zwischen der Schweiz und Italien genutzt wird. Das Auto wird auf dem Parkplatz eines der Verdächtigen von der Zürcher Kantonspolizei kontrolliert. Und Bingo! Unter dem Fahrersitz wird ein elektronisch abschliessbarer Behälter entdeckt: Er enthält drei Pistolen und Munition. Es folgen Hausdurchsuchungen in vier Kantonen. Im Tessin werden zwei Pistolen gefunden, in St. Gallen ein Kilogramm Kokain, das in einem Gefrierschrank versteckt war. Auch Bargeld wird beschlagnahmt. Die koordinierte Aktion ist ein voller Erfolg: 104 Personen werden in Italien verhaftet, 6 davon in der Schweiz. Ihre Auslieferung wird eingeleitet. Insgesamt waren 180 Polizeibeamte von fedpol und der Kantone Tessin, Graubünden, St. Gallen und Zürich involviert.

Die Schweiz als logistische Basis der italienischen Mafia

Dieser 16. November 2021 markiert den Höhepunkt einer jahrelangen engen Zusammenarbeit mit den italienischen Behörden und schliesst den Schweizer Teil zweier Ermittlungen ab. Nun ist wieder Italien am Zug. In ihrer Pressemitteilung hält die Guardia di Finanzia fest: «Das Interesse am Drogenhandel scheint stark zu sein, mit einer deutlichen Ausweitung auf die Schweiz und vor allem St. Gallen. Dieses Gebiet ist für einige Verdächtige, die sich dort niedergelassen haben, zu einer logistischen Basis geworden.» Die Schweiz ist aber nicht nur eine logistische Basis, sondern hat für die Mafia eine besondere Bedeutung. Ein Beweis dafür ist der Rang der Verhafteten, bei denen es sich nicht um irgendwelche Jugendliche, sondern um prominente Köpfe der 'Ndrangheta handelt. Offenbar sind in der Schweiz niedergelassene Mitglieder mehrerer Clans still und ruhig damit beschäftigt, Drogen der Mafia hier zu verkaufen oder zu lagern. Dieser 16. November ist auch ein bedeutender Schritt zur Optimierung des so wichtigen Informationsaustauschs. Denn während ein Kanton das Delikt erkennt, erkennt fedpol das Netzwerk.

Joint Investigation Team JIT

Ein Joint Investigation Team (JTI) ermöglicht den Ermittlungsteams, im vorliegenden Fall sowohl der Schweiz als auch Italiens, auf gleicher Ebene informiert zu werden und sich rasch und flexibel auszutauschen. So erhalten sie die Informationen in Echtzeit und vermeiden bei jedem Informationsaustausch aufwändige administrative Schritte zwischen den beiden Ländern.