2021: Déjà-vu. Corona geht in die zweite Runde. Das kleine, unsichtbare Virus prägt immer noch unseren Alltag. Spürbar wird es, wenn ein Covid-19-Test positiv ausfällt und eine Arbeitskollegin zu Hause bleiben muss. Spürbar und sichtbar wird es, wenn Personen wegen den Corona-Massnahmen ihre Contenance verlieren und Mitglieder des Bundesrates oder des Parlamentes mit Beschimpfungen und Drohungen eindecken.
Denn mit der Pandemie kamen die Massnahmen. Mit den Massnahmen die Wut. Mit der Wut die Drohungen. Drohungen gegen unsere Schutzpersonen wie Bundesrätinnen und Bundesräte, Parlamentsmitglieder und Bundesangestellte. Eine Bundesrätin fährt im Zug, ein Bundesrat mit dem Fahrrad zur Arbeit – wir waren so stolz, dass dies in der Schweiz möglich ist. Möglich war, denn in den letzten Monaten war das undenkbar. Die Regierungs- und Parlamentsmitglieder fühlen sich bedroht, sind in ihrem Handeln behindert, können ihre Funktion nur unter erschwerten Bedingungen wahrnehmen.
Wenn einer in der Ostschweiz auf Telegram dem Bundesrat droht, erreicht er Menschen auf der ganzen Welt. Irgendjemand kann sich durch den Kommentar dazu ermutigt fühlen, zur Tat zu schreiten. Und dann wird es gefährlich für unsere Schutzpersonen. Diese neue Lage hat unseren Auftrag schlagartig verändert.
Es geht um mehr, als Bundesrätinnen und Bundesräte, Parlamentsmitglieder und Bundesangestellte vor physischer Gewalt zu schützen. Es geht um den Schutz von Freiheit und Demokratie in der Schweiz.
Damit das Parlamentsgebäude ein offenes Haus bleibt.
Damit die Regierung und das Parlament arbeiten und ihre Aufgaben für die Schweiz wahrnehmen können.
Nicht nur die Anzahl Drohungen gegen Regierungsmitglieder nimmt im Verlauf der Pandemie zu. Die Terrorgefahr gilt als nach wie vor erhöht; Einzeltäter können überall zuschlagen. Jederzeit. Die italienischen Mafien und andere kriminelle Organisationen sind in der Schweiz aktiv. Sie nutzen unsere Lage im Herzen Europas, unser Rechtssystem und unsere politische Stabilität für ihre Zwecke.
Die Arbeit geht uns nicht aus. Im Gegenteil.
Eine Bankomatsprengung im Kanton Aargau, weitere in Schaffhausen, Luzern, Zürich. Die Täter sind schnell, flüchten mit einem gestohlenen Auto über die Grenze ins nahe Ausland. Die Kantonspolizeien sehen die einzelnen Delikte dieser Banden oder der Mafia vor Ort. Die Bundespolizei fedpol sieht die nationalen und internationalen Zusammenhänge, das kriminelle Netzwerk. Nur wenn wir die Informationen aus den Kantonen erhalten und analysieren können, erhalten wir ein Lagebild über die Kriminalität in der Schweiz.
Die Lage bestimmt unseren Auftrag, unsere Prioritäten und unseren Ressourceneinsatz. Wer die Lage kennen will, braucht Informationen. Die Welt wird jedes Jahr digitaler, globaler; Kriminelle ebenfalls. Der nationale und internationale Informationsaustausch und die Kooperation sind das A und O im Kampf gegen die Kriminalität.
Wir müssen die Schweiz als einen Kriminalitätsraum behandeln. Keine Polizei ist alleine erfolgreich. Der Polizeiföderalismus ist wertvoll und schafft Nähe zum Terrain und zu den Bürger und Bürgerinnen. Der Polizeiföderalismus muss aber neu gelebt werden. Neu leben heisst: Informationen und Wissen austauschen, Kompetenzen bündeln.
Um zu sehen.
Um unsere Ressourcen wirksam einzusetzen.
Und gezielt zu handeln.
Die Polizei muss wissen, was die Polizei weiss.
Gute Lektüre!
Nicoletta della Valle, Direktorin fedpol